Gérard Biard, Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und die ukrainische Femen-Chefin Frankreichs Inna Shevchenko, verbringen einen gemeinsamen Abend unter starken Sicherheitsvorkehrungen und Polizeischutz in Paris und sprechen über Religionskritik, Blasphemie und Feminismus.
Biard arbeitet seit 1992 für das Satiremagazin und will auch nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo vom 7.1.15. bei dem 12 Menschen starben, weiterhin Karikaturen mit sozial-politischer Relevanz verbreiten. Biard ist einer der glühendsten Vertreter der Säkularisierung und Gründer der Männerorganisation Zéromacho, die gegen Prostitution und für Gleichstellung der Geschlechter kämpft. Für sein politisches und soziales Engagement erhielt Biard zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den James C. Goodale Freedom of Expression Courage Preis. Biard hat seit dem Attentat auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo zahlreiche Morddrohungen erhalten und gilt seitdem als der gefährdetste Mann Frankreichs. Denn anstatt sich einschüchtern zu lassen, lässt er alle Fanatiker, die Frankreich und der ganzen Welt einen neuen religiösen Totalitarismus aufzwingen wollen, wissen: „Wir scheißen auf Euch!“
Die ukrainische Aktivistin Inna Shevchenko schloss sich nach der Teilnahme an der „Orange Revolution“ 2004 in der Ukraine der Vereinigung FEMEN an, dessen neue, radikale Form des Frauenprotests immer wieder die Aufmerksamkeit der Weltpresse erlangte. Shevchenko ist durch ihr politisches Engagement und ihre aktivistischen Tätigkeiten permanenten Gefahren ausgesetzt. 2011 wurde sie nach einem Protest in Minsk vom weißrussischen Geheimdienst zusammengeschlagen und verhaftet und letztes Jahr wurde sie während einer Podiumsdiskussion in Kopenhagen fast erschossen. Vor drei Jahren erhielt sie in Frankreich politisches Asyl. Seitdem lebt sie in Paris und leitet die französische FEMEN-Organisation.
Shevchenko, die sich in letzter Zeit stark gegen die Unterdrückung der Frau in allen religiösen Systemen ausspricht und daher auch immer wieder von muslimischen Fundamentalisten bedroht wird, trifft Gérard Biard in einem kleinen Café, inmitten des Pariser Ausgehviertels, in dem im November letzten Jahres Islamisten wahllos Menschen erschossen haben. Zuletzt haben die beiden sich bei der Beerdigung von Stéphane Charbonnier, des ehemaligen Herausgebers von Charlie Hebdo, gesehen.
In einem stark bewachten Café, das während des Drehs für die Öffentlichkeit geschlossen bleibt, freuen die beiden sich über ein neues Gesetz in Frankreich, dass Kunden von Prostitutierten unter Strafe stellt. Mit der Rabbinerin Delphine Horvilleur diskutieren sie über Religionskritik, und wie man in diesen schwierigen Zeiten gegen fundamentalistische Denkweisen kämpfen kann, nicht nur in Frankreich, sondern weltweit. Horvilleur plädiert für eine Neuinterpretation der heiligen Schriften aller monotheistischen Religionen, denn die Unterdrückung der Frauen in Islam, Christentum und Judentum ist ihrer Meinung nach lediglich Abbild patriarchalischer Machtsysteme, die die weiblichen Wurzeln der Religionen bewusst ignorieren.
Gérard Biard darf als erster Mann die FEMEN-Frauen in ihren Trainingsräumen besuchen, die an die feministische Buchhandlung „Espace des Femmes“ angeschlossen ist. Shevchenko führt Biard durch die Räumlichkeiten und macht ihn mit einigen der Aktivistinnen bekannt. Sie fertigen gerade Femen-Logos an, die sogenannten „Boobs-Prints“, bei denen sie mit ihren Brüsten farbige Abdrücke auf Leinwand hinterlassen, die sie ihren Unterstützern verkaufen. Im „Espace des Femmes“ treffen sie auf Elisabeth Nicoli und Michéle Idels, Feministinnen der ersten Stunde der französischen Frauenbewegung MLF, die die Femen-Frauen als ihre legitimen Enkelinnen anerkannt haben. Gemeinsam mit der iranischen Exil-Autorin und Soziologin Chahla Chafiq diskutieren sie die Absurdität eines sogenannten muslimischen Feminismus, ein Widerspruch in sich.
Im Restaurant Le Pharamond dinnieren Shevchenko und Biard aus Sicherheitsgründen in einem Chambre Separée und philosophieren über die Notwendigkeit von Blasphemie und der politischen Dimension des Islam, die besonders die politische Linke aus Angst in die Falle der vermeintlichen Toleranz tappen lässt. Beide sind betroffen über die Tatsache, dass Biard von manchen linken Kritikern als Rassist bezeichnet wird, obwohl Charlie Hebdo sich Toleranz und freie Meinungsäußerung schon seit Beginn auf die Fahnen geschrieben hat. Gemeinsam erinnern sie sich an den von den Islamisten getöteten Stéphane Charbonnier, genannt „Charb“, den ehemaligen Herausgeber von Charlie Hebdo, der ein großer Verehrer der arabischen Kultur war: „Sie wissen nicht, wen sie getötet haben!“ Denn ebenso wie sie verspottete Charbonnier lediglich die Dummheit der Islamisten und nicht den Islam.
In der Bar „Le Prés au Clercs“ hängen zwei Zeichnungen der ermordeten Hebdo-Karikaturisten Georges Wolinski und Jean Cabut. Hier treffen Shevchenko und Biard auch den Exil-Iraner und Karikaturisten Mana Neyestani, der Menschen in zwei Gruppen einteilt: die Giordano Brunos und die Galileo Galileis dieser Welt. Während Neyestani sich selbst als einen der Galileo Galileis bezeichnet, weil er den Iran verlassen hat, gehört Gérard Biard für ihn zu den Giordano Brunos, weil er bereit wäre, für seine Ideale zu sterben. Biard, weit davon entfernt, ein Held sein zu wollen, antwortet: er könne einfach nicht anders, als weiter zu machen. Und so verabschieden sich Inna Shevchenko und Biard mit ihren Versprechen, sich von nichts und niemandem einschüchtern zu lassen: „Wir stecken tief in der Scheiße, aber wir machen weiter!“
Regie | Niloufar Taghizadeh / Cordula Kablitz-Post |
Redaktion | Martin Pieper / ZDF-ARTE |
Produktion | avanti media fiction |
Länge | 62 Min. |
Erstausstrahlung | ARTE 13.11.2016 um 22:55 Uhr |